english translation

Thomas Dreher

Verena Kraft & Kurt Petz

Performances 1990

Ästhetische Handlungen in Dramen und Performances sind von einander über die Rollen des Akteurs unterschieden: Der Performer präsentiert sich selbst – er setzt sich in der Aktion einer selbst gewählten oder geschaffenen Situation unmittelbar aus, statt eine literarische Figur zu repräsentieren, die Intentionen eines anderen Autors ausdrückt.

In der Performance Tanz der Relikte (KunstBetrieb Dachau) präsentieren Verena Kraft und Kurt Petz sich selbst, indem sie die Rolle von Performern repräsentieren. Ein Performer präsentiert sich selbst heute nicht mehr unmittelbar, wie dies zu Anfang der Geschichte dieses Mediums möglich war. Aus der ursprünglich unmittelbaren Präsentation von Attitüden, Gesten wird eine durch die Vorgeschichte des Mediums vermittelte Rolle: Aus der nicht-mimetischen Präsentation wird eine Mimesis an ein etabliertes Rollenbild. Der Anschluß an etablierte Performanceformen liefert heute, Kraft und Petz bestätigen das, die Basis zur Artikulation von Differenzen.

Bei Kraft und Petz wird die moderne Polarität zwischen mimetischer und nicht-mimetischer Repräsentation, zwischen Theater und Performance (Sauerbier S. 83), in eine postmoderne Supplementarität verkehrt, wobei eine der Repräsentationsformen beliebig gegen die andere Repräsentation ausgetauscht werden kann. Die Selbst-Präsentation des Performers dient zur Thematisierung des Prozesses, in dem ein Zeichenträger im Laufe einer Geschichte mit Bedeutung aufgeladen wird.

Die Geschichte der Performance wird zur Exemplifikation der Geschichte aller Medien, des Verhältnisses von Ursprung und Geschichte überhaupt. In der Performance Tanz der Relikte werden Dias von historischen Performances – von Vito Acconci, Joseph Beuys, Günter Brus, Gilbert & George, Yves Klein, Boris Nieslony, Hermann Nitsch und anderen – an eine Wand gestrahlt, vor der Kraft und Petz die Posen der Performer imitieren. Die Performer tragen dabei auf ihren Köpfen Licht reflektierende, wie leuchtend erscheinende Glasringe – wie Heiligenscheine, wie sie schon der italienische Künstler Salvo für Selbstdarstellungen mit Segensgestus verwendet hat (Foto Segnung Luzerns, 1970). Aus der Posen-Imitation, einer Mimesis an Foto-Repräsentationen nicht-mimetischer Aktionen, wird zwangsläufig ein Kommentar, zum Beispiel, wenn ein inzwischen mehrfach reproduziertes und einprägsames Foto von Beuys’ Aktion mit einem Kojoten (New York, Galerie René Block, 1974) so nachgestellt wird, daß Petz Beuys’ Haltung imitiert und Kraft die des Kojoten. Die Wiener Künstlerin Valie Export hat in Umkehrung der etablierten Geschlechterrollen ihren Freund Peter Weibel wie einen Hund angekettet durch Wiener Straßen geführt (Aus der Mappe der Hundigkeit, Feb. 1968). Kraft und Petz kehren dieses Verhältnis wieder um: Frauchen darf wieder sein, was es schon immer war, der hörige Hund, und Herrchen darf – analog zu Anselm Kiefers Selbstdarstellung in Besetzungen (Fotoserie, 1969) – zum Hitler-Gruß anheben, indem er Beuys’ Stock-Geste mit dem Arm imitiert. Doch der Kraft-Hund ist nicht angekettet und steht analog zum Kojoten mit dem Gebiß in Richtung Herrchen Petz, das mit erhobener Hand unten wehrlos ist – und beide warten auf das nächste Dia. Zu Anfang und Ende führen Kraft und Petz einen Walzertanz vor – eine vorcodierte Körper-Choreographie wird noch einmal wiederholt, jedoch ohne – wie in der Dia Projektion – mit der Mimesis auch das repräsentierte Handlungsmuster zu präsentieren.

Diese Doppelung von Muster und Nachahmung führt der Mittelteil vor: nur dort wird mimetische Repräsentation konzeptualisiert. Bei der Projektion des Beuys-Dias schaltet Petz installierte Lampen mit ultraviolettem Licht im Zuschauerraum an: Die Zuschauer erkennen jetzt über sich UV-Licht reflektierende Kartonringe, die identisch mit den Heiligenscheinen auf den Köpfen der Performer sind. Die Zuschauer befinden sich gleichzeitig in wie vor der Performance – in der Lichtinstallation und vor der Dia-Projektion mit mimetischer Aktion. Die eigene Zuschauer-Rolle wird reflektierbar in der Sichtbarkeit anderer Zuschauer unter denselben Aureolen über dem eigenen Kopf und auf den Köpfen der Performer. Aus dem Verhältnis Präsentation und Repräsentation bei den Performern wird eine Frage an den Zuschauer nach seiner Position: Stellen sich ihm in der Selbstdarstellung vor anderen und in der Selbstwahrnehmung über die Reaktionen anderer nicht dieselben Probleme, wie sie die Performer angesichts ihres Standorts im Verlauf einer Mediengeschichte vorführen? Aus der ursprünglichen Performance, einer nicht-mimetischen Präsentation von Aktionen und Materialien, wird bei Kraft und Petz eine Konzeptualisierung des mimetisch-repräsentierenden Alltagstheaters. Mit ‚Alltagstheater‘ sind die Rollen gemeint, die wir im Alltag zur Selbstdarstellung vor anderen repräsentieren: Wir zeigen zeichenhaft durch Rollenspiel an, was wir zu sein vorgeben wollen, oder wovon wir glauben, es sein zu müssen.

In der Performance Neuer Deutscher Zoo (Lukaskirche, München) dienen wiederum Neon- und UV-Licht sowie Nachleuchtfarbe zur Konzeptualisierung des Verhältnisses von Präsentation und Repräsentation. Eine Lichtpyramide aus UV-Röhren, wobei das Licht bei völliger Dunkelheit den Lichtträger überstrahlt, konstituiert die Situation, in der die Aktion beginnt. Kraft stellt weiße Leuchtstoffröhren vertikal in einem Quadrat um die UVPyramide. Sie schaltet das Licht immer aus, wenn sie einen weiteren sternförmigen Sockel holt, präsentiert ihn dem Publikum und schaltet dann das Licht wieder ein. Dabei wird gleichzeitig der Heiligenschein auf Krafts Kopf aus- und eingeschaltet. Petz kauert unter der Pyramide und hält vor seinen Kopf einfache, aber symbolträchtige, mit Nachleuchtfarbe bemalte Zeichen aus Ytong – zum Beispiel ein Dreieck, einmal voll, einmal als Rahmen. Petz wirft das präsentierte Zeichen weg, der Zeichenträger zerbricht, verschwindet in der Dunkelheit, und Petz nimmt ein anderes der teilweise voneinander abgeleiteten Zeichen, mit dem er denselben Vorgang wiederholt. Mit Krafts Fertigstellung des Neon-Quadrates hört Petz mit seiner – solange Zeichenvorrat reicht – beliebig fortsetzbaren Zeichenpräsentation/-zerstörung auf und zieht sich zurück, um vor einem Monitor zu kauern, der jetzt loderndes Feuer zeigt. Ein Monitor ist – wie auch die Neon- und UV-Röhren – ein Licht emittierendes Medium, das die Projektionsmittel im Dunkel hinter der Emission verschwinden läßt.

Wenn die Performer die Bühne verlassen, bleibt das Licht des elektronischen Lagerfeuers, der UV-Pyramide und des Neonquadrats – als Relikte bleiben Licht emittierende Materialien, die selbst durch die Emission ganz oder beinahe unsichtbar werden. Die materielle Präsenz der Lichtträger spielt bei der Aktion der Disposition eine Rolle, während die Aktion von bereits disponierten Lichtzeichen zunehmend stärker beleuchtet wird, die ihre eigene materielle Präsenz überstrahlen. Zeichenträger, Zeichenform und Präsentationsumstände stehen zueinander in einem Spannungsverhältnis zwischen Präsenz und Absenz.

Kraft und Petz zerlegen den Zeitablauf in ähnliche bis identische Teile, die additiv folgen. Krafts Aktion unterscheidet sich von Petz’ Aktion, da sie zu einem absehbaren, vom Zuschauer antizipierbaren Ende führt. Krafts Aktion ist zwar zielgerichtet, doch ist die Zielorientierung nicht weniger indifferent wie die Zeichenfolge in Petz’ Aktion des Vorzeigens, um wegzuwerfen. Der Zeitverlauf von Anfang bis Ende wird kurzgeschlossen: Nach dem Abgang der Performer ist lediglich mehr Licht auf der Bühne – welch ein Unterschied.

In Neuer Deutscher Zoo wird ein Spannungsverhältnis zwischen archaischen Zeichen und elektronischen Medien, Materialaktion und immaterialisierender Energie erzeugt. Die Performance stellt sich durch Wiederholungssequenzen quer zu Geschichte und Geschichten konstituierender Zeit. Der bildhafte Eindruck von Licht und die räumliche Disposition von Lichtträgern spielt eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie der Zeitverlauf: „Gespanntes Verhältnis des Spiels zur Geschichte, gespanntes Verhältnis auch von Spiel und Präsenz! ... Die Präsenz eines Elementes ist stets eine bezeichnende und eine stellvertretende Referenz, die in einem System von Differenzen und in der Bewegung einer Kette eingeschrieben ist. Das Spiel ist immerfort ein Spiel von Abwesenheit und Präsenz, doch will man es radikal denken, so muß es der Alternative von Präsenz und Abwesenheit vorausgehend gedacht werden.“ (Derrida, S. 440)

S. D. Sauerbier, Gegen Darstellung: Ästhe-tische Handlungen und Demonstrationen, Cologne 1976, P. 83.

Jacques Derrida, La structure, le signe et le jeu dans le discurs des scientes humaines, in L‘ écriture et la difference, Paris 1967, (trans. J.O.)